Herzlich willkommen bei eins.sieben.drei!
Liebe Zuhörer*innen Wir befinden uns derzeit in einer kleinen Winterpause. Ende Februar sind wir mit einer neuen Folge über Literaturmagazine zurück. Danke für eure Geduld, habts schön und warm und bis bald!
herzlich, Marion, Christoph und Lucien
Staffel FÜNF
(43) Ein Mann, Lost in Time – mit Tine Melzer «Alpha Bravo Charlie»
Er verbringt seine Tage über einem Landschaftsmodell, er spaziert herum, er möchte am liebsten ungesehen blieben. Johann Trost, pensionierter Linienpilot, alleinstehend, ist aus der Zeit gefallen, und auch aus allen sozialen Bezügen. Und wie schmerzlich das sein kann, das zeigt Tine Melzer in ihrem scharfsinnigen Text sehr konzis, findet Lucien Haug, und Marion Regenscheit sagt, dieser Trost sei wohl immer schon ein wenig jenseits der Zeit gewesen, während Christoph Keller gerne mehr gewusst hätte über diesen seltsamen Mann.
(42) Wo ist Vater – mit Deniz Utlu «Vaters Meer»
Eine schwierige Suche nach dem Vater, eine Reise in die Türkei hin und zurück, und eine Reise zu sich selbst - Deniz Utlu macht es sich nicht einfach in seinem Roman «Vaters Meer». Er folgt den Spuren seines Vaters, der über viele Jahre in einem Locked-In-Syndrom gefangen war und findet immer neue Bruchstücke, die schwierig zusammenzusetzen sind. Ein mäandernder Text, sagt Marion Regenscheit, Lucien Haug fragt sich, was eigentlich Autofiktion ist, und Christoph Keller entdeckt immer wieder neue Metaphern fürs Meer, fast zu viele.
(41) Erzählen, um nochmals neu zu erzählen – eine Folge zu Kurzgeschichten
Drei Erzählungen, drei Erzählerinnen und eine Frage: was Erzählungen genau auszeichnet, und warum wir unbedingt mehr davon lesen sollten. Toni Morrison mit «Rezitativ», Lana Bastasic mit «Mann im Mond», Maylis de Kerangal mit «Kanus», sie alle entführen uns in einen ganz eigenen Raum, in dem alles, was gutes Erzählen ausmacht, vor sich geht. Die Wiederbegegnung mit einer authentischen Erzählstimme, sagt Lucien Haug, die ganz besondere Dramaturgie, findet Marion Regenscheit, die Kunst, alles auf einen Punkt zu bringen, sagt Christoph Keller. Bücher: Toni Morrison «Rezitativ», Rowohlt, 2023, Lana Bastasic «Mann im Mond», Fischer, 2023 und Maylis de Kerangal «Kanus», Suhrkamp, 2023
(40) Der lezte Hitzesommer, fast wie heute – über Charles Ferdinand Ramuz «Sturz in die Sonne»
Es geht in diesem Roman aus dem Jahr 1922 so zu, wie in einem sehr heissen Sommer heutzutage. Die Menschen gehen baden, sie freuen sich über den schönen Himmel. Doch dieser Hitzesommer wird der letzte sein, denn die Erde stürzt der Sonne zu und wird verglühen. Nur langsam setzt sich diese Erkenntnis bei den Menschen fest, sie halten so lange wie möglich an der Normalität fest. Eine starke, unglaublich aktuelle Erzählung, findet C., L. lobt die fast unerträgliche Lakonie Ramuz’, und M. möchte, dass alle, wirklich alle dieses Buch lesen. Und alle drei sind fasziniert von der deutschen Übersetzung von Steven Wyss.
(39) Schweizerdeutsch Blues in den USA – mit Dominic Oppliger
Domic Oplliger hat mit «giftland» wieder einen Roman auf Schweizerdeutsch geschrieben. Es ist die Erzählung eines Roadtrips in unserer Muttersprache, und eine Tiefenlotung eines Gemütszustands. Dominic Oppliger nimmt uns mit in einem Van, mit einer Rockband quer durch die USA, und mitten hinein in eine Coming-of-Age-Geschichte mit offenem Ausgang und so rhythmisch, wie ein Beat auf dem Schlagzeug. L. fühlt sich sprachlich umarmt, M. entdeckt eine neue Lesart im Schweizerdeutschen, und C. fühlt sich sehr schweizerisch bei der Lektüre.
Staffel VIER
(38) Schreiben, um sich zu finden – mit A.L. Kennedy
Anna, die Protagonistin in A. L. Kennedys neuestem, zunächst nur auf deutsch erschienenen Roman «Als lebten wir in einem barmherzigen Land» begibt sich schreibend auf eine Selbstsuche. Sie versucht dabei, die Rumpelstilzchen in ihrem Leben loszuwerden, die grossen und die kleinen, die darauf aus sind, die Lage der Menschen auszunützen. In England, aber auch sonstwo auf der Welt. Ein Buch mit ausschweifenden, beeindruckenden Bildern, findet Lucien Haug, Marion Regenscheit begeistert sich für die Dramaturgie in diesem Buch, und Christoph Keller hat viel gelernt über den Verlust von Barmherzigkeit in unserer Zeit.
(37) Der, den ich liebe, fast bedingungslos – mit Helga Schubert
Sie nennt ihn Derden, der, den ich liebe. Sie pflegt ihn, jeden Tag, ihren Mann, der weit über neunzig ist, und sie ist auch schon achtzig und mehr. Legt eine Geduld und eine Zuneigung an den Tag, die fast schon unzeitgemäss ist, und findet für all das eine konkrete, unverstellte Sprache. «Der heutige Tag» ist ein Buch, das mit jedem Wort berührt, sagt Marion Regenscheit, Chrsitoph Keller lobt die sozialkritischen Aspekte in dieser langen Erzählung, und Lucien Haug hebt die Qualitäten des Alters in der Literatur hervor.
(36) Ein Lieblungsbuch und ein Geheimnis – mit Mohamed Mbugar Sarr
Es ist eine existenzielle literarische Reise, die der Protagonist in «Die geheimste Erinnerung der Menschen» von Mohamed Mbugar Sarr unternimmt. Der Schrifsteller Diégane Latyr Farr entdeckt auf Umwegene das mysteriöse, aber fesselnde, bezaubernde Buch von T.C. Elimane. Er begibt sich auf eine Reise, die ihn in die Vergangenheit führt, in die Abgründe von europäischer Arroganz und Rassismus und zurück in seine Heimat, nach Senegal. Ein Buch über Lieblingsbücher, betont Lucien Haug, ein gelungenes Versteckspiel mit Fakten, meint Christoph Keller, während Marion Regenscheit dem Protagonisten das Recht auf ein Geheimnis zubilligt.
(35) Die wie die Schlangen sprechen – mit Ralph Tharayil
Ist es ein Langgedicht, eine Ode an die Kindheit und Jugend, oder doch ein Coming of Age Roman? Ralph Tharayil gelingt in «Nimm die Alpen weg», erschieben bei AZUR im Verlag Voland & Quist, eine schwebende, aber unglaublich präzise Beschreibung einer Familie, die zwischen zwei Welten zurechtzukommen versucht. Ein Text wie ein Diaabend, findet Marion Regenscheit, Christoph Keller hat das Buch beinahe schwebend gelesen, und Lucien Haug weist darauf hin, dass im Text die Entscheidung für eine der beiden Welten steckt.
(34) Trivial oder doch kunstvoll? – mit Sebastian Fitzek
Sebastian Fitzek legt mit «Mimik» wie jeden Herbst einen Thriller vor, der, ob jetzt gut oder schlecht, von Tausenden gekauft werden wird. Wir fragen, warum das so ist, und was das Genre der Unterhaltungsliteratur denn ausmacht. Dass sie spannend, ja fesselnd sein kann, wie in diesem Fall, findet Marion Regenscheit, und Lucien Haug sagt, genau darin liege der Wert dieser Art von Literatur: dass sie uns den Alltag vergessen lässt, während Christoph Keller dezidiert der Meinung ist, dass schlecht und durchsichtig geschrieben eben schlechte Literatur bleibt.
(33) Über Wunder, Wunden und Heiligsprechungen – mit Enis Maci
Mit «Wunder» (Suhrkamp, 2022) legt Enis Maci ein Theaterstück vor, das genauso als lyrischer Text oder als Essay gelesen werden kann. Es geht um versehrte, verwundete Körper, um Frauen, die mit ihrem Körper für Wunder herhalten müssen, und um Männer, die sie dann heiligsprechen. Ein Text über, aber auch für den verletzlichen Körper, findet Christoph Keller, Marion Regenscheit sieht in diesem Stück viel Selbstermächtigung und Potenzial zur Selbstbestimmung, während Lucien Haug das Grauen in den Texten unter die Haut geht.
(32) Bei Sitting Bull, oder auch nicht – mit Alex Capus
Alex Capus unternimmt in «Susanna» eine historische Reise mit seiner Protagonistin Susanna Faesch, von Basel aus ins New York des 19. Jahrhunderts und bis zu einer Begegnung mit dem Häuptling der Lakota, Sitting Bull. Doch da passiert Unerwartetes. Ein kluger Erzählmove, sagt Lucien Haug, eine Geschichtsdeformation, moniert Christoph Keller, während Marion Regenscheit für die Freiheit des Erzählens plädiert. Ein Gespräch über Fakten und Fiktion im Roman, mit einem Seitenblick auf Thomas Brunnschweilers Buch «Die Zwischengängerin», das ebenfalls das Leben der Susanna Faesch erzählt.
(31) Im Meer der Sprachen, der Körper – mit Kim de l'Horizon
Es ist die Geschichte einer zweifachen Beziehung, zur Grossmutter, der Grossmeer, und zur Mutter, der Meer. Eine Auseinandersetzung mit den Verstrickungen einer Familie, mit dem Ungesagten, mit dem, was verwurzelt ist, wie die Wurzeln der Blutbuche. Eine stete Befragung auch der eigenen Identität entlang der Frage, warum es Mann und Frau eigentlich geben muss, wenn das Dazwischen so viel mehr Möglichkeiten eröffnet. Ein sprachgewaltiges Buch, sagt Lucien Haug, Christoph Keller ist buchstäblich darin versunken, und Marion Regenscheit gefällt es so gut, dass sie fast gar nicht mehr darüber reden wollte.
(30) Von Social Media zerfressen – mit Hanna Bervoets
Kyleigh sitzt den ganzen Tag vor dem Computer und löscht im Takt unzulässige Inhalte von einer Plattform. Gewalt, Pornografie, Rassismus, Suizid - alles muss sie sich anschauen. Und spürt kaum, dass die Inhalte, die sie täglich zu sehen bekommt, sie langsam zerfressen. Eine Reportage und eine tragische Liebesgeschichte, findet Christoph Keller, ein Buch über die Vermischung von Realitäten, sagt Marion Regenscheit, und Lucien Haug hat eine Frage zur Haltung der Erzählerin.
LIVE-INTERMEZZi
(29) Mädchen oder nicht – mit Teresa Präauer
Mit «Mädchen» legt Teresa Präauer einen ganz besonderen Text vor. Eine Erzählung über sich selbst, und doch eine Distanznahme von der eigenen Biografie, eine literarische Wanderung durch Bücher über Mädchen, eine Reflexion darüber, warum Rosa auch ein Zeichen von Power sein kann, und ein listiger Junge, der immer wieder auftaucht. Ein schöner, reichhaltiger Verweistext, findet Lucien Haug, ein Text, der das Mädchen gegen den Strich bürstet, sagt Marion Regenscheit, und Christoph Keller fühlt sich manchmal beim Lesen auf sich selbst zurückgeworfen.
(28) Bildsprachen oder Sprachbilder?
Liveaufzeichnung vom Thuner Literaturfestival Literaare mit Lika Nüssli und Klaus Merz Sprache sind Bilder und Bilder sind Sprache. Ob in der Graphic Novel oder der Lyrik. In der einen Gattung sind sie im Wortsinn, in der anderen als Potenzial vorhanden. Und doch ist die Bildsprache nicht dasselbe wie ein Sprachbild, und ein Bild manchmal gar nicht dort, wo es zu sein scheint, sondern an Orten, an denen wir es gar nicht erwarten. Wie steht der Code der Sprache, dem wir uns bedienen, zu etwas so vermeintlich Unmittelbaren wie dem Bild? Mit der Cartoon-Zeichnerin und Illustratorin Lika Nüssli, dem Schriftsteller und Lyriker Klaus Merz diskutieren Marion Regenscheit, Christoph Keller und Lucien Haug, und sie machen dabei mehr als nur eine neue Entdeckung.
Staffel DREI
(27) Die Frau, die aus Kiew kam – mit Natascha Wodin
Sie kam aus Kiew, als Putzfrau, und sie blieb in diesem Berlin der Neunziger Jahre. Nastja, von Beruf Ingeneurin, flüchtet vor der postsowjetischen Armut in der Ukraine, will sich in Deutschland eine Existenz aufbauen und erlebt mehr als nur eine Demütigung. Und lernt, dass die Freiheit erst beginnt mit dem Recht, «Nein» sagen zu können. Ein Buch von hoher Aktualität, sagt Christoph Keller, eine Erzählung, die so schnörkellos wie berührend ist, findet Lucien Haug, und Marion Regenscheit verweist auf die psychologische Finesse, mit der Nadia Wodin ihre Protagonistin zeichnet. Mit einer Lesung der Autorin aus dem Koppelew-Forum.
(26) Sich vor Liebe verzehren – mit Senthuran Varatarajah
Wir kennen es aus der Alltagssprache der Liebe, dass wir sagen «Ich habe dich zum Fressen gern», oder auch «Ich verzehre mich nach dir». In seinem hoch verdichteten, komplexen und zugleich berührenden Roman «Rot (Hunger)» verknüpft Senthuran Varatarajah zwei Geschichten. Einerseits den realen, dokumentierten Fall des «Kannibalen von Rotenburg», der sein Opfer, das sich ihm freiwillig hingegeben hat, ermordet und zur Verpeisung zerstückelt; andererseits die ebenso reale Geschichte einer unmöglichen Vereinigung, die der Autor selbst erlebt hat. Ein Text mit einer grossen Wucht, sagt Marion, Lucien lobt die tiefgründige Dichte der Sprache, und Christoph hat das Buch buchstäblich verzehrt.
(25) Dauerstress auf TikTok und zu wenig Liebe – mit Julia von Lucadou
Sie bewegen sich im digitalen Raum, als wäre es ihr Schlafzimmer – Almette, die kluge, emotional hilflose Gymnasiastin, Jo, der gescheiterte Student und Incel-Typ mitsamt ihren Freund*innen. Follower zu generieren, ist ihr Ziel, TikTok ihre Welt, und Emotionen werden in Likes und Emojis gemessen. Julia von Lucadou zeichnet in ihrem Roman die Existenz der Jugendlichen von heute, sie erzählt von den Folgen des digitalen Ausgesetztseins, und warum es da kein bisschen Liebe gibt. Ein humoriges Buch, findet Lucien Haug, eines mit sehr realen Figuren, sagt Marion Regenscheit, während Christoph Keller sich manchmal erschrocken hat. Aber alle sind sich einig - unbedingt lesen!
(24) Wer schreibt hier eigentlich? – mit Olga Tokarczuk
Wir sprechen in dieser folge über den Essayband «Übungen im Fremdsein» von Olga Tokarczuk. Die Literatur, so fürchtet die Trägerin des Literaturnobelpreises, wird mehr und mehr zur Ware, vermarktbar, für den schnellen Verkauf designt; und Schriftsteller*innen tragen ihre Haut zu Markte. Gegen eine oberflächliche, schnelle Literatur bringt Olga Tokarczuk ihr eigenes Schreiben in Anschlag, das auf eine tiefe, innige Auseinandersetzung mit Geschichten und Figueren setzt. Allzu mythisch, findet das Marion Regenscheit, etwas altklug, meint Lucien Haug, während Christoph Keller sich begeistern kann. Eine streitbare Folge.
(23) Bäume fällen wie Menschen – mit Jan Bachmann
Der Kaiser muss abtreten, der Krieg ist verloren, vor dem Palast revoltiert das Volk. Was Jan Bachmann in seiner Graphic Novel «Der Kaiser im Exil» erzählt, ist nicht nur die Geschichte von Kaiser Wilhelm, der nach der Niederlage 1918 im Schloss eines befreundeten Grafen in Holland Zuflucht fand. Es ist auch die Geschichte eines Tyrannen, der Bäume fällt wie Menschen, und sich dennoch eine seltsam schrullige Seite bewahrt. Ein Glücksfall für alle, die Graohic Novels lieben, sagt Marion Regenscheit, während Christoph Keller neu zu lesen gelernt hat, und Lucien Haug findet, dass der Literaturbetrieb noch etwas zu lernen hat.
(22) Bäume lieben – und andere – mit Richard Powers
In dieser Folge sprechen wir über «Erstaunen» von Richard Powers. Robin ist ein Junge, der Bäume über alles liebt, und andere Lebewesen überhaupt. Nur ist er mit dieser engen Verbundenheit ziemlich allein, denn der einzige, der ihn versteht, ist sein Vater Theo. Dieser weiss um das besondere Spektrum, in dem sein Sohn lebt, er kennt seine Begabungen und er sorgt dafür, dass Robin wieder in Kontakt kommt mit seiner Mutter, die verstorben ist. Ein Buch über Naturliebe, Eltern, neurologische Experimente und darüber, welches Leben auf anderen Planeten möglich wäre. Das Buch hat Marion Regenscheit berührt, Lucien Haug bewegt und Christoph Keller erschüttert.
(21) Unendliche Männergewalt – mit Veronika Sutter
Zwei Frauenstreiks haben in der Schweiz die Öffentlichkeit aufgerüttelt, haben für Aufsehen gesorgt und viele Frauen mobilisiert. Nur scheinen sie an den Männern vollends vorbeigegangen zu sein, als hätte es sie nie gegeben; und als hätte es keine Auseinandersetzung um Gewalt in der Ehe, in Beziehungen gegeben. Zu diesem Fazit muss kommen, wer Veronika Sutters Buch «Grüsser als du» liest - männliche Gewalt ist tatsächlich grösser. Ein Buch voller Geschichten über toxische Beziehungen und Abhängigkeiten, sagt Marion Regenscheit. Christoph Keller pflichtet ihr bei, während Lucien Haug noch auf einen wichtigen Punkt zur Literaturkritik hinweist.
(20) Wie ein Mann von Gestern – mit Thomas Duarte
Ein Mann erscheint mitten in der Nacht auf einem Polizeiposten, erzählt eine Geschichte, die mehr und mehr ins Skurrile abgleitet. In der etwas erzählt wird von einer seltsamen Bürotätigkeit, verquastem Sex, und in der Frauen wie Tiere beschrieben werden. Eine Geschichte, die im Nichts beginnt und im Nichts endet, und in der drei Unschuldige ihre Existenz verlieren. Darüber gibt es viel zu rätseln, finden Marion Regenscheit, Lucien Haug und Christoph Keller, und sie versuchen, das Rätsel zu ergründen.
(19) Depression ist eine Wut – mit Levin Westermann
Vielleicht ist es ein Gedicht, vielleicht ein Gebet, vielleicht ein Manifest - ganz einig sind sich Lucien Haug, Marion Regenscheit und Christoph Keller bei Levin Westermanns verdichtetem Ablauf von 22 Tagen nicht. Aber sie freuen sich über diese innere Düsternis, die sich in diesem Band breit macht, weil dahinter doch möglicherweise eine lichte, andere Dimension hervorscheint - die Möglichkeit, dass man oder frau aufsteht und sich der Welt zuwendet, ganz. Lesen Sie «Farbe Komma Dunkel» selber und sagen uns, was Sie dazu für Gedanken haben!
Staffel ZWEI
(18) Ungeerdet daheim – mit Judith Hermann
Eine Frau im mittleren Alter, die sich in einem einsamen Haus am Rande des Meeres niederlässt. Nicht angekommen, auch nicht verloren, aber gefangen in einem seltsamen Zwischenraum, in dem vieles passiert und doch nichts. Eine seltsame Affaire, eine etwas umtriebige Nachbarin, ein bizarr verliebter Bruder - das alles verwebt Judith Hermann in «Daheim» zu einem feinen Geflecht von Beziehungen und unsicheren Erinnerungen. Und für einmal sind sich Marion Regenscheit, Lucien Haug und Christoph Keller einig - ein fabelhaftes Buch voller Kisten. Mit einer Lesung von Judith Hermann aus dem Hörverlag.
(17) Insel der Überlebenden – mit Johanna Lier
Sie flüchten vor Krieg, Hunger und Unterdrückung - und werden auf einer Insel zu Überlebenden, mehr nicht. Johanna Lier schildert in ihrem literarischen Bericht «Amori. Die Insel» vom unwürdigen Dasein der Menschen im Lager Moria auf Lesbos, mit eindringlichen Gesprächen, präzisen Beobachtungen und mit mehr Fragen, als zuweilen zumutbar sind. Ein Buch in der Tradition der «literature engagée», findet Christoph Keller. Lucien Haug kommt der Erzählfigur näher, mit der wiederum Marion Regenscheit ihre Schwierigkeiten hat. Und alle sind sich einig, dass sie viel gelernt haben in und an diesem Buch.
(16) Unkaputtbar kaputt – mit Jessica Jurassica
In Jessica Jurassicas Erstling «Das Ideal des Kaputten» geht es – typisch Pipliteratur – um sehr Gegenwärtiges und das sich darin herumgammeln. Es startet mit einem Drogentrip in den Amazonas, es gibt mittelmässige bis schwierige Liebhaber, eine Jugend im Appenzeller Chrachen, eine miese, machistische Presse, unspektakulärer Sex usw. Ausserdem ist der Geruch in diesem Sommer seltsam. In Jessica Jurassicas Buch ist so gut wie alles kaputt - nur macht die Autorin daraus zu wenig, findet Christoph Keller, während Marion Regenscheit den Ansatz von weiblicher Popliteratur lobt, und Lucien Haug sich über das Versteckspiel der Autorin freut.
(15) Ein Roman ist kein Roman ist ein Roman – mit Claudia Durastanti
Wir sprechen in dieser Folge über «Die Fremde» von Claudia Durastanti. Die Hauptfigur des Buchs wächst als Kind von taubstummen Eltern auf, inmitten von Gewalt, Unsicherheit, mit wechselnden Wohnsitzen in Italien und in New York. Sie erlebt die Wirrungen einer mafianahen Familie, leidet unter einem gewalttätigen Vater, und die Mutter steht auch ziemlich unsicher im Leben. Claudia Durastantis Protagonistin entkommt dem allem ziemlich unversehrt - was Fragen aufwirft, auch nach der Form dieses Buchs. Ob das ein Roman ist? Oder eine Autobigraphie? Lucien Haug findet, dass das keine Rolle spielt, Marion Regenscheit fühlt sich beim Lesen mit der Frage konfrontiert, ob das nun Fakten oder Fiktionen sind, und Christoph Keller behauptet, das sei so gewollt.
(14) Zettel im Kopf – mit Michael Hugentobler
Wir sprechen über «Feuerland», der zweite Roman von Michael Hugentobler. Auf vielen Zetteln hat der Missionsarssohn Thomas Bridges die wunderbaren Wendungen in der Sprache der Yamana notiert, eines hinwegsterbenden Volks in Feuerland. Mit vielen Zetteln in einem Koffer und im Kopf ist er unterwegs zwischen Feuerland und Europa, schreibt schliesslich ein Wörterbuch. Das kostbare Buch versucht der «Völkerkundler» Ferdinand Hestermann später vor dem Zugriff der Nazis zu retten - in die Schweiz. In Thomas Hugentobler Roman wimmelt es von skurrilen Figuren, aberwitzigen Begegnungen, und es bleibt immer unklar, was dokumentarisch ist und was nicht. Darin liegt ein Problem, sagt Lucien Haug, während Christoph Keller in «Feuerland» durchaus ein politisches Buch sieht; Marion Regenscheit hingegen irritiert doch immer wieder die Erzählperspektive des Autors.
(13) Verdichtete Sprache – Mayröcker, Liebert, Gomringer, Xosewist, Böhmermann
Wir reden über Dichtung, über verdichtete Sprache, über Lyrik. Über den Rausch beim Lesen von Lyrik, und was sie mit unserem Körper macht, mit unserer Lust am Wort und darüber hinaus. Wir reden über Friederike Mayröcker «da ich morgens und moosgrün. Ans Fenster trete» (9:40), über Juliane Lieberts «Lieder an das grosse Nichts» (22:44) , über «Gottesanbieterin» von Nora Gomringer (35:50), über «Leipzigيّاt» von Xoşewîst (47:11) und über «Gefolgt von niemandem, dem du folgst» von Jan Böhmermann (59:00). Fünf Bücher die uns berauscht haben, beflügelt, und dazu animiert haben, uns über das verdichtete Schreiben Gedanken zu machen. Elliptisch, etwas wahnsinnig, nicht ohne Pathos und Humor schauen wir auf die Bilderwuch und Verwirrungskaskaden dieser Autor*innen.
(12) Die nackte Wahrheit – über Christian Kracht
«Eurotrash» heisst der langersehnte neue Roman von Christian Kracht. Während er von der Kritik teilweise als «mutig», ebenso «leichtfüssig» wie «erhellend» bezeichnet wird, sind wir unsicher: Genial? Oder werden wir da gerade vom Autor an der Nase herumgeführt? Der etwas morbide Roadtripp durch die Schweiz soll die Fortsetzung von «Faserland» sein, dem ersten Roman Krachts, aber das ist ebenso ungewiss, wie eigentlich alles in diesem Buch. Marion Regenscheit hält «Eurotrash» für eine Form von dandyhaftem Trash und ist ambivalent. Christoph Keller findet, dass Kracht mit diesem Buch gelinde gesagt ungute Diskurse bedient, und Lucien Haug sagt endlich die nackte Wahrheit über Christian Kracht.
(11) Ich wäre eine andere – mit Mithu Sanyal
Professorin Saraswati ist nicht, was sie vorgibt. Ist nicht eine Frau mit indischen Wurzeln, den braunen Teint hat sie sich zugefügt, ihre Vergangenheit ist Fake. Als das auskommt, gibt es einen Skandal - und es kommt zu wütenden Reaktionen von Studierenden, der Öffentlichkeit, zu einem Shitstorm. Mittendrin ist Nivedita, alias Identitti, eine Bloggerin und die Lieblingsstudentin von Saraswati - sie wird fortgerissen im Strudel der Ereignisse und versucht, eine eigene Haltung zu finden. Ein dringend notwendiger, lesenswerter und im besten Sinn lehrreicher Roman zur Debatte um die postidentitäre Existenz, finden alle drei Kritiker:innen, Marion Regenscheit, Lucien Haug und Christoph Keller
(10) Wenn sich Cyborgs erinnern – mit Martina Clavadetscher
Drei Frauen, drei Geschichten. Da ist Iris, die in Manhattan durch ihr Penthouse tigert undvoller Ungeduld auf die nächste Dinnerparty wartet, weil sie da wieder erzählen wird. Von ihrer Halbschwester Ling, die in einer Sexpuppenfabrik im Südosten Chinas arbeitet und künstliche Frauenkörper auf Herstellungsfehler kontroliert, bevor sie sich abends bei Filmklassikern in ihre Einsamkeit zurückzieht. Und im alten patriachischen Europa folgt Ada ihren mathematischen Obsessionen, träumt von Berechnungen und neuartigen Maschinen, das Ungeheuerliche stets im Kopf. Ein Roman, der vielleicht von einem Cyborg geschrieben wurde, befürchtet Lucien Haug, während Marion Regenscheit sich unsicher ist, ob sich Roboter wirklich emanzipieren können; und Christoph Keller hat das Buch in einem Zug gelesen, viel zu schnell. Wir sprechen über diese drei Frauen in drei Welten und mit Martina Clavadetscher, die uns auch aus dem Buch vorliest. Wir alle, die im Buch und wir, die darüber sprechen, machen uns auf die Suche nach einer Antwort – nach dem Kern der Dinge. Und sind alle sind, ohne es zu ahnen, miteinander verbunden.
Staffel EINS
(9) Trauern, aber dann – mit Anna Stern
Wie trauern um eine geliebte Person, und um eine, die so jung stirbt. Wie trauern um eine Jugendfreundin, um einen Jugendfreund, die mit einem Mal aus dem Leben gerissen werden. Anna Stern, Trägerin des Schweizer Buchpreises 2020, zeigt in ihrem Roman auf, welche Suchbewegungen die Trauer macht - und was danach kommt. Marion Regenscheit fand die Lektüre zugleich anstrengend wie auch (im letzten Teil) befreiend, Christoph Keller fühlte sich zeitweilig verloren, und Lucien Haug stellt fest, dass sich der Text da und dort gegen die Autorin verschwört. Ein Buch zum trauern, und zum wieder aufbrechen. Spotify
(8) Voyeurismus und Kuscheltiere – mit Samanta Schweblin
Die Welt in «Hundert Augen» von Samanta Schweblin ist besiedelt von sogenannten Kentukis. Kentukis sind Kuscheltiere und so etwas wie Low-Tech-Apparate, die sich zwar fortbewegen können, aber nicht sprechen, und sie können vor allem eins: den Menschen, bei dem sie wohnen, beobachten. Was sie sehen, landet bei einer anderen Person irgendwo auf der Welt auf dem Bildschirm, diese Person erhält also intimen Einblick ins Leben der Person, die einen Kentuki besitzt. Und so sind Kentuckys in Samanta Schweblin Roman Apparaturen, die eine Barriere überwinden: zwischen dem eigenen Leben und dem Leben der anderen. Kein Roman über Technologie, findet Christoph Keller, aber einer, der unser Bedürfnis nach Entgrenzung und auch nach Dominanz (und dominiert werden) aufzeigt, findet Marion Regenscheit. Während sich Lucien Haug aufregt über Verlage, die auch jedes Buch als eine düstere technische Dystopie verkaufen wollen. Dazu das Gespräch mit der Autorin, und die Übersetzung von Isabelle Stoffel. Spotify
(7) Gestrandete Lieben – mit Meral Kureyshi
Sie liebt, und sie liebt auf eine vielfältige, intensive Art, die Protagonistin in Meral Kureyshis Roman «Fünf Jahreszeiten». Aber die Männer um sie herum haben ihre Tücken, jeder für sich, und die Ich-Erzählerin findet sich immer wieder gestrandet; und so fliesst mancher Moment, manche Gelegenheit und auch manches Gefühl davon. Überhaupt sei das ein Flussbuch über die Liebe, sagt Marion Regenscheit, und während Christoph Keller einiges zu sagen hat über die Unzulänglichkeiten der Männer, findet Lucien Haug, «Fünf Jahreszeiten» sei der Liebesroman des Jahres. Spotify
(6) Schlingen einer Ehe – mit Gabriella Zalapi
Sich befreien aus den Schlingen einer Ehe, einer Familie. Darum geht es Antonia, der Protagonistin in Gabriella Zalapìs Roman «Antonia, Tagebuch 1965-1966», ein schmales, aber kein leichtgewichtiges Buch. Denn die Last der Familie liegt schwer auf Antonia, und es brauchte einen merkwürdigen Fund, um einen Prozess in Gang zu setzen, der Antonias Leben vollständig verändert. Ein Buch der starken Frauen, findet Marion Regenscheit, Christoph sieht vor allem den Verrat der Männer, und Lucien fragt sich, ob sich hier der Text nicht auch gegen die Autorin verbündet. Dazu das Gespräch mit der Autorin, mit der Stimme von Isabelle Stoffel. Spotify
(5) Zucker, aber nicht für alle – mit Dorothee Elmiger
Ein Buch wie ein Kaleidoskop, eine Zeitreise und die Umkehrung von Geographien, von Orten. Ein Buch übers Essen und zur Frage, woher der Zucker eigentlich kommt, und warum nicht alle davon kriegen. Ein Buch über die Liebe, und an wem sie sich verschwendet. Das alles ist Dorothee Elmiger, die in «Aus der Zuckerfabrik» eine weitläufige Recherche durchführt. Marion Regenscheit erkennt, dass dieses Buch ins Unendliche fortgesetzt werden könnte, Christoph Keller freut sich darüber, dass die Autorin Max Frisch zerlegt, und Lucien Haug findet heraus, wo der Ort dieses Buches ist. Spotify
(4) Verloren in Hawaii – mit Cihan Acar
Er ist ein Zuschauer, ein Unentschiedener, ein Verlorener, der Kemal Arslan. Noch bis vor kurzem ein aufstrebender Fussballstar, nun mit zertrümmertem Fuss und lebenslänglich spielunfähig in seinem früheren Quartier gelandet, in Hawaii, einem Stadtteil von Heilbronn. Hier durchlebt er vier unentschiedene Tage, zwischen einer alten Liebe und den alten Kumpels, die ihn auf ihre Seite ziehen wollen. Und dann geht die Hölle los. Christoph findet den Roman exemplarisch für die Migrationsgesellschaft, Marion bemerkt, dass hier vor allem Männer vorkommen, und Lucien wundert sich über die eine oder andere Stelle in diesem Buch. Spotify
(3) In Einstellungen leben – mit Marius Goldhorn
«Arnold ging in die Einstellungen», mit diesem Satz beginnt Marius Goldhorns Roman «Park». Alles scheint hier gleich wichtig: Gedanken, Internetrecherchen, Chatprotokolle, Gedichte und random fun facts zu Dinos, Aliens und Ginkos werden in kurzen Hauptsätzen aneinandergereiht. Dabei will Arnold, die Hauptfigur, doch eigentlich nur seine verlorene Liebe Odilie zurück. Dafür reist er nach Athen. Aber zuerst geht er in die Einstellungen. Marion nervt die Passivität und besteht die Challenge nicht. Christoph sucht nach einem neuen Motto für seine radikale Existenz und Lucien erkennt in Arnold einen digitalen Romantik-Helden. Spotify
(2) Der Schweizer am Käse – mit Anaïs Meier
Die kurzen Geschichten, die Anaïs Meier in ihrem Band «Über Berge, Menschen und insbesondere Bergschnecken» erzählt, haben es in sich. Sie nimmt die Schweiz schonungslos auseinander, arbeitet mit präzisen Bildern, zieht den Schweizer am Käse und rüttelt an der Figur der Künzlis und anderen Bünzlis. Im Gespräch sagt Anaïs Meier, da es auch in anderen Ländern und an anderen Orten schwierig sei, könne sie sich ebensogut mit der Schweiz beschäftigen, mit diesem stachligen Land. Und sie hat es auch auf das andere Geschlecht abgesehen, ebenso unerbittlich. Marion Regenscheit ist bezaubert, Lucien Haug ortet einen «Anti-Bärfuss-Text» und Christoph Keller hat seine Challenge halbwegs bestanden. Spotify
(1) Schmerzlos, illusionslos, pastell – mit Leif Randt
Sind wir überhaupt noch in der Lage zu lieben? Wer mietet eigentlich einen Tesla? Und was ist ein Boss Move? „Allegro Pastell“ von Leif Randt ist ein Buch, das sogar über sich selbst sprechen kann. Mit Tanja Arnheim und Jerome Daimler in der Hauptrolle, sie führen eine makellos wirkende Fernbeziehung. Zwischen dem Badmintonspiel, massvollem Drogenkonsum in Berlin, Jogging, Meditation, beruflichem Erfolg und Auswärtsessen im Maintal finden sie eigentlich wenig, woran sie leiden. Lucien Haug, der Leif Randt interviewt hat, Marion Regenscheit, pragmatische Hedonistin, und Christoph Keller, verschwenderischer Romantiker, wollten wissen, was dieses Buch denn zu einem Phänomen macht. Spotify
eins.sieben.drei – der Trailer
Marion Regenscheit, Christoph Keller und Lucien Haug stellen sich und ihren neuen Literaturpodcast vor.